Du denkst du hast schon alles hyper- Geschwollenes gehört? Ich denke nicht.
Es gibt Tage, da will man als denkender Mensch einfach nur wissen, wie es dem Berufsleben da draußen geht. Vielleicht sogar ein bisschen netzwerken, sich inspirieren lassen. Doch dann öffnet man LinkedIn und wird augenblicklich vom Lava-Strom aus Phrasen, Power-Claims und Purpose-Getrommel überrollt.
Was man dort liest, ist nicht etwa ein Abbild der Arbeitswelt. Es ist ein Kaleidoskop der kollektiven Selbstüberschätzung. Ein digitales Rollenspiel, in dem sich jeder selbst zum Gamechanger, Thought Leader oder Strategic Storyteller adelt.
Die Berufsbezeichnungen? Ein Gedicht der postfaktischen Ich-Inszenierung:
- Chief Empowerment Officer
- Creator of Impactful Narratives
- Agile Communication Strategist 360°
- Purpose-driven Leadership Coach
- Mindfulness-oriented Innovation Enabler
- Radical-Honesty-Initiator:in für kulturellen Wandel
Und das ist keine Satire. Das ist Echtbetrieb. Jeden Tag. Für alle sichtbar.
Beitrag 1: Jemand postet ein Selfie vom Homeoffice mit der Überschrift: „Heute bin ich einfach nur ich. Und genau das macht mich so wirksam.“
Beitrag 2: Eine andere Person erzählt von ihrer bewussten Offline-Zeit, die sie mit Fotos von ihrem Aperol in Biarritz garniert. Um dann zu posten, wie wohltuend es war, mal nicht online zu sein. Auf LinkedIn. Mit Hashtag #Sichtbarkeit.
Beitrag 3: Eine Marketing-„Gamechangerin aus Leidenschaft“ verlost ein Badetuch für die kreativste Antwort auf die Frage: „Warum ist unser Streamingdienst der Binge-Boss unter den Anbietern?“
Beitrag 4: Und dann ist da noch der Typ, der mit drei Zertifikaten für „radical honesty“, „human-centered transformation“ und „Future Readiness“ öffentlich darüber reflektiert, wie wichtig es sei, sich selbst nicht mehr zu verstellen. Nach dem dritten Kamerafilter.
Was auf LinkedIn abgeht, ist kein Job-Netzwerk mehr. Es ist ein kollektives Bühnenstück.
Jeder Satz ein Mantra. Jeder Gedanke ein Mindset.
Die Arbeitswelt als spirituelle Zeremonie. Die eigene Rolle als Business-Guru mit Feelgood-Flair.
Und irgendwo dazwischen: Menschen wie ich.
Mit echten Projekten, echten Problemen, echten Gedanken.
Die sich wundern, was aus dieser Plattform geworden ist – und die sich fragen, wie lange der Rest der Welt dieses Schauspiel noch für authentisch hält.
Best of Bullshit – die LinkedIn Edition:
Hier ein Best-of aus dem Kuriositätenkabinett der Selbstdefinition:
• Storytelling Coach 360°
• Visibility-Architect
• Empowerment Alchemist
• Emotional Intelligence Facilitator
• Brand Resonance Creator
• Narrative Designer
• Diversity Innovation Lead
• Feelgood Manager
• Human-First Workplace Enabler
• New Work Visionary
• Conscious Growth Architect
• Remote Culture Shaper
• Radical Honesty Coach
• Transformation Influencer
• Authenticity Consultant
• Digital Intimacy Creator
• Mindful Business Architect
• Purpose Strategist
Wer denkt sich das aus?
Antwort: Die, die sich fühlen, aber nicht verstehen.
Die, die alles reflektieren, aber nichts lösen.
Die, die alles „verorten“, aber keine Verantwortung tragen.
Die, die alles „manifestieren“, aber nichts erschaffen.
Und mitten in diesem Buzzword-Biotop steht man da. Als Mensch mit echtem Beruf, echtem Alltag und echtem Anspruch an Sprache und Inhalt. Man liest. Man schweigt. Und manchmal, ganz selten, liked man heimlich einen Beitrag, der Klartext spricht.
Von 100 Leser wagt es genau eine Person, kritischen Postings zuzustimmen. Der Rest bleibt stumm. Aus Karriereangst. Aus Anpassung. Oder weil man sich sonst selbst hinterfragen müsste.
Willkommen im Disneyland der Doppelmoral.
Denn in Wahrheit ist das hier kein Ort für Menschen.
Es ist ein Safe Space für Selbstinszenierung.
Ein gläsernes Fitnessstudio für den Algorithmus.
Und du bekommst nur Applaus, wenn du das Spiel mitspielst.
Ich weiß, wovon ich rede.
Ein ehrlicher, kritischer Kommentar zu einem Thema, das jeden betrifft – 100 Leute lesen es.
Nur einer liked es.
Warum?
Weil sich die restlichen 99 denken:
„Das ist mir zu heikel.“
„Was, wenn das jemand sieht?“
„Das könnte falsch verstanden werden.“
„Ich arbeite doch mit denen zusammen.“
„Ich brauche das Netzwerk.“
Und zack.
Verstanden hast du plötzlich, wie das Spiel funktioniert.
LinkedIn ist kein Karrierenetzwerk mehr. Es ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Simulation.
Ein Ort, an dem man mit Euphemismen seine innere Leere beschallt und mit überdrehten Berufsbezeichnungen das Vakuum des eigenen Beitrags tarnt.
Vielleicht brauchen wir bald wirklich Windeln, wenn wir uns dort noch länger aufhalten. Nicht aus Rührung. Sondern vor Lachen. Oder Weinen.
Ich schreibe das nicht, weil ich resigniere – sondern weil ich nicht mehr mitspiele.
Und weil es vielleicht da draußen noch ein paar andere gibt, die jeden Tag durch diesen „Professional Safe Space“ scrollen und sich denken:
Bin ich der Einzige, der das hier absurd findet?
Nein.
Du bist nicht allein.
Und genau deshalb schreibe ich das.




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